Prolog der Redaktion
"Le Parkour" ist eine Sportart, bei welcher der Teilnehmer, TRACEUR genannt, andere Wege einschlägt, als die, die ihm auf architektonische und sonstige Art und Weise vorgegeben sind. Dabei geht es nicht um möglichst waghalsige Sprünge, sondern eher darum, seinen eigenen Weg zu finden und zu gehen. Geachtet wird speziell auf Eleganz, Effizienz, Geschwindigkeit und Sauberkeit der Bewegungen.
Le Parkour kann prinzipiell überall, sowohl in natürlichem wie in urbanem Umfeld praktiziert werden; die Hindernisse selbst dürfen jedoch nicht verändert werden.
Begründet wurde Parkour [ganz bewußt mit "k" und nicht mehr mit "c" - der Internationalität wegen] in den frühen 1980er Jahren von dem Franzosen David Belle. Von seinem Vater Raymond Belle, einem Indochina-Veteranen, erlernte er in den Wäldern Nordfrankreichs die "Méthode naturelle" , eine von Georges Hébert Ende des 19. Jahrhunderts von Eingeborenen in den französischen Kolonien abgeschaute Methode sich fortzubewegen im Einklang mit der Natur.
Diese Methode wurde rasch in allen westlichen Armeen für die Rekruten-Ausbildung übernommen - als "Hindernis-Parcours".
Aus den spielerischen Verfolgungsjagden über Hindernisse, die er mit anderen Kindern veranstaltete, entwickelte sich mehr und mehr ein Sport - die Schwierigkeitsgrade erhöhten sich, und im Laufe der Zeit wurden Mauern, Zäune, Baugerüste, später ganze Hochhäuser und Gebäudefassaden vom unüberwindbaren Hindernis zum kreativen Spielplatz reinterpretiert.
Zu den Grundtechniken gehören unter anderem "Saut de Chat" (Katzensprung über ein Hindernis), "Saut de Bras" (Armsprung an ein höher gelegenes Objekt) oder "Précision" (Präzisionssprung). Im Gegensatz zu vielen Funsportarten besitzt im Parkour nicht jede Technik-Hindernis-Kombination einen eigenen Namen. Die Methode, wie das Hindernis am Besten zu überwinden ist, entsteht aus der Interaktion mit dem Hindernis selbst.
Belle selbst sieht Parkour nicht nur als Sportart, sondern vielmehr als kreative Kunst, die dabei hilft die eigenen durch Körper und Umwelt gesetzten Grenzen zu erkennen und zu überwinden .
Trendsport Parkour kommt nach Deutschland
Ein Trend aus Frankreich erreicht nun auch Deutschland: Sogenannte Traceure schlagen sich beim Trendsport Parkour akrobatisch durch den Großstadtdschungel.
Die Geschichte von Parkour beginnt vor rund 20 Jahren in Nordfrankreich. In den Wäldern zeigt ein ehemaliger Soldat seinem Sohn David Belle Wege, die auf keiner Landkarte stehen. Anfang der 80er Jahre verlegt David den Hindernislauf in den Großstadtdschungel. Seine Freunde versuchen ihm zu folgen und bald wird Davids "Kunst der Fortbewegung" zum Trendsport der anderen Art.
Am 06. Mai 2006 trifft sich die europäische Elite des neuen Freesports Parkour in Berlin zum Osram Parkour World Meeting. Der alte Postbahnhof im Berliner Osten wird für einen Tag zum Mekka dieser urbanen Bewegung. Angeführt von ihrem Gründer David Belle, werden Top-Athleten aus Frankreich, Deutschland, der Schweiz und Österreich ihr Können zeigen. Außerdem werden sie in Workshops rund 250 Anfängern und Fortgeschritten zeigen, wie man zum „Traceur“ wird – so nennen sich die Parkour-Athleten.
Noch gibt es nur ein paar Hundert Traceure in Deutschland. In Frankreich hingegen ist Parkour dank seines charismatischen Erfinders David Belle längst eine große Szene und Teil der jungen Kultur. Der Film „Banlieue 13“ mit David Belle, nach einem Drehbuch von Luc Besson, lief erfolgreich in französischen Kinos und auch im neuen Video „Hung up“ von Pop-Ikone Madonna sind Traceure der Hingucker.
Parkour ist aber mehr als eine oberflächliche Modeerscheinung. Parkour ist die effiziente und spektakuläre Fortbewegung durch Stadt und Natur - ohne Hilfsmittel, elegant und mit fließenden Bewegungen. Der Weg wird bestimmt von der vorgegebenen Topographie, dem eigenen Können und den eigenen Ideen. Parkour ist kreativ, viele betrachten es eher als Kunstform denn als Sportart.
Außer geeigneten Sportschuhen bedarf es keiner Ausrüstung, Hilfsmittel oder Sportareal. Es ist ein echter „Überall-Sport“. Denn man kann ihn überall machen – in der Stadt oder in der Natur: Über Stock und Stein, Treppen und Geländer, Häuser und Hindernisse laufen, springen und klettern die Traceure. So lernen sie eine vertraute Umgebung neu kennen, entdecken und verbessern das eigene Körpergefühl, stimulieren ihre Kreativität. Traceure gehen keine unnötigen Risiken ein, entwickeln ihre Fähigkeiten aber konsequent weiter. Bei Parkour geht es um Kontrolle, nicht um Wagemut.
Immer geradeaus
Ein Traceur weicht keinem Hindernis aus. Er überfliegt es so elegant wie möglich. Am besten auf einer geraden Linie quer durch die Stadt. In Berlin treffen sich am Samstag hunderte von ihnen.
Von Caroline Turzer
Hinter den großen Glasscheiben des edlen Studios „Holmes Place“ am Kölner Mediapark schwitzen Fitness-Junkies auf Cross-Trainern, Steppern und Laufbändern. Manchmal schaut einer nach unten, auf den Platz zwischen den hohen Glas- und Betonbauten. Dort wird auch trainiert - allerdings ganz anders. Andrej, Benjamin, Dirk und Philipp hangeln sich an Geländern entlang, springen über Mauern wie Turner beim Pferdsprung und rollen sich auf der anderen Seite geschmeidig auf dem harten Steinboden ab. „Die da oben“, sagt Philipp und zeigt auf die Glasscheiben, „machen Sport in einem geschlossenen Raum und bezahlen auch noch dafür. Und Andrej ergänzt: „Wir trainieren unsere Muskeln nicht, um sie zu präsentieren, sondern um sie zu benutzen.“
Benjamin, Andrej, Dirk und Philipp sind Parkour-Athleten, Traceure (aus dem Französischen: tracer = eine Linie ziehen). Etwa 400 Traceure gibt es heute in Deutschland, so Marcus Hess, Manager der deutschen Gruppe der Parkour Worldwide Association (PAWA). „Wir wachsen zwar langsam, aber stetig.“ Seit Februar 2005 versucht die PAWA in Deutschland eine spektakuläre Sportart bekannt zu machen. Parkour ist eine Kombination aus Hindernis- und Ausdauerlauf, eine spielerische Überwindung von Mauern, Zäunen und Abgründen. Der Traceur überquert sie im Sprung oder kletternd und hangelnd, um auf dem schnellsten Weg ans Ziel zu kommen. Dabei versucht er das Gelände so gerade zu durchlaufen, als hätte er zuvor eine Linie auf dem Stadtplan gezogen.
Das große Ziel: irgendwann einmal die Stadt durchqueren zu können, ohne Mauern und Gittern ausweichen zu müssen, sich lässig von einem Hindernis zum anderen zu schwingen, ohne den Flow zu unterbrechen. Die Stadt wird für die Traceure zum Spielplatz, die Mülltonne zum Sprungbrett, das Treppengeländer zur Reckstange. Bis es aber so weit ist, müssen sie jeden Tag trainieren, sich immer wieder kleine Ziele setzen, um ihr großes Ziel zu erreichen. Jeden Tag müssen sie Grundelemente wie den Katzensprung (saut de chat) üben, bei dem sie Mauern in der Sprunghocke wie Turner überwinden, oder den Armsprung (saut de bras), bei dem sie im Sprung an einer Kante Halt suchen.
Erfunden hat diese „Kunst der Fortbewegung“ der Franzose David Belle. Ende der achtziger Jahren begann er in der Pariser Vorstadt Lisses mit der schnellen und eleganten Überquerung von Hindernissen. Heute spielt er in Actionfilmen und Werbespots mit, hat Anfang 2005 die PAWA als internationalen Dachverband gegründet und erklärt bei Workshops seinen Sport. Der hat sich von Frankreich aus über ganz Europa und bis nach Südamerika ausgebreitet.
Als Parkour vor zwei Jahren auch die deutschen Großstädte erreichte, wurde es zum Medien-Hype. „Ein Sport für Extremisten“, schrieb das Hamburger Abendblatt über Parkour, mit „Superhelden in Videospielen“, verglich die Welt am Sonntag die Traceure. Dabei wollen die meisten weder Helden noch Extremisten sein. Für sie ist Parkour ein Sport, für den sie kein Stadion und keine Turnhalle brauchen.
Benjamin und Dirk üben die Parkourrolle. Immer wieder stoßen sie sich ab, springen und rollen sich mit einer eleganten Flugrolle über die Schulter. Dass sie sich auf den harten Steinfliesen nicht ernsthaft verletzen, ist kaum zu glauben. Allerdings: Schrammen und blaue Flecken sind normal - genauso wie die Angst. Bei jedem neuen Sprung, jedem höheren Hindernis müssen sie sich aufs Neue überwinden. „Angst ist wichtig“, sagt Philipp. „Keiner soll etwas machen, das er sich nicht zutraut.“ Und Andrej ergänzt: „Wenn ich die Mauer heute nicht schaffe, dann eben morgen oder auch erst in einem Monat.“ Zwischen Traceuren gibt es keinen Konkurrenzkampf, sie treiben sich gegenseitig an. „Es geht nicht darum, dass ich besser bin als ein anderer, sondern dass ich besser bin als letzte Woche“, sagt Dirk.
Motivation, Konzentration und Selbstdisziplin gehören zu Parkour. Genauso wie Koordination und Geschicklichkeit - Grundelemente der menschlichen Bewegung - , die eine Generation bewegungsarmer Jugendlicher vor den Bildschirmen zu verlieren beginnt. „Wer meldet sich denn heute noch im Turnverein an?“, fragt PAWA-Manager Marcus Hess. Dass Jugendliche sich immer weniger körperlich bewegten, sei ein ernstes Problem. Deshalb bietet das PAWA-Team immer wieder Workshops an; am 6. Mai organisiert es im alten Berliner Postbahnhof ein internationales Treffen aller Traceure. Geplant sind Workshops für rund 250 Anfänger und Fortgeschrittene. Neben Traceuren aus Frankreich, der Schweiz und Österreich ist auch PAWA-Gründer David Belle dabei. Mehr Infos unter: parkour-wm.de
Zu den Veranstaltern gehört auch Marcus Hess’ Schwester Sandra, frühere Kunstturnerin, Präsidentin der PAWA Deutschland und eine der ganz wenigen weiblichen Traceure, die es in Europa gibt. Ihr gemeinsames Ziel: Die Jugendlichen wieder nach draußen zu locken, weg vom trägen Rumhängen vor dem Computer. „Viele, die mit Parkour anfangen, waren davor Internet- oder PC-Junkies“, sagt Marcus Hess. „Die meisten finden Parkour in Internetforen.“
Auch die Jungs im Mediapark haben Parkour im Internet gefunden, und sie sind dabei geblieben. Parkour ist für jeden von ihnen etwas ganz Besonderes geworden. Für Benjamin zum Beispiel eine Art Lebenseinstellung, mit der er Probleme überwindet, für Philipp die Freiheit, die Stadt so zu nutzen, wie er will. „Wir sind wie große Kinder“, sagt er. „Für die ist die Welt noch ein Spielplatz, ins Fitnessstudio gehen Erwachsene.“
eser